Ein Kultplatz aus der Eisenzeit
1957 machten Arbeiter in einem Moor zwischen Niederdorla und Oberdorla bei Mühlhausen in Thüringen eine Entdeckung. Beim Torfstechen stießen sie auf größere Mengen Tierschädel und Tierknochen sowie Hölzer mit Schnitt- und Feuerspuren. Offenbar hatten sie am Ufer eines verlandeten Sees einen frühgeschichtlichen Opferplatz gefunden. Die archäologischen Ausgrabungen, die daraufhin in den 60ger Jahren durchgeführt wurden, konnten diese Einschätzung präzisieren: Die Historiker fanden mit dem Opfermoor Vogtei den deutschlandweit besterhaltenen Fundkomplex eines heidnischen Kultplatzes, an dem seit dem 6. Jh. v. Chr. über 1000 Jahre lang den Göttern Opfer dargebracht wurden. Über 90 Heiligtümer aus aufeinander folgenden Zeitstufen mit ihren vergänglichen Holzidolen, Tier- und Menschenknochen waren durch das Moor konserviert worden.
Ein Zeichen der Götter: Durch den Einsturz eines Hohlraums im Muschelkalk füllte sich bei Oberdorla eine Senke mit Wasser, ein Moor bildete sich, eine Schnittstelle zwischen den Welt der Lebenden und der Götter. Im 6. Jh. v. Chr. entstand der Kultplatz
Das älteste gefundene Heiligtum, ein rechteckiger Feueraltar aus Muschelkalk stammt aus der Hallstattzeit im 6. Jh. v. Chr., wurde also noch von den Vorfahren der Germanen angelegt. Warum sie gerade diesen Ort dazu auswählten, der sich heute rühmt, der geografische Mittelpunkt Deutschlands zu sein, kann man nicht mehr genau sagen. Allerdings entstand zu dieser Zeit der See. Durch den Einsturz eines unterirdischen Hohlraums füllte sich eine neu entstandene Senke mit Wasser, und vielleicht deuteten die Menschen dies als ein Zeichen der Götter. Eines der nächst jüngeren Heiligtümer wurde in der Latènezeit zwischen dem 3. und 1. Jh. v. Chr. angelegt und zeigt keltische Einflüsse, eine einfache Einhegung und mit einem von Flechtwerk abgestützten Rasenaltar, an dem ein Pfahl aufgestellt wurde.
Holzidole als Symbole für die Götter
Inzwischen hatte sich die germanische Jastorf-Kultur Elbeabwärts und entlang der Saale bis hinein ins Thüringer Becken ausgebreitet. In ihrer Folge entstand in der Region der Stamm der Hermunduren, die im 1. Jh. vor Chr. ein großes Rundheiligtum am Ufer des Sees anlegten. Der See begann damals aber bereits wieder zu verlanden. Welche Götter die Menschen genau verehrten, weiß man nicht. Nur sehr schematisch werden sie in Form von Astgabeln oder geschnitzten Pfählen dargestellt. Doch wenn auch die schlanken Holzidole auf einfachste Weise bearbeitet wurden, so symbolisieren sie durch eindeutig angebrachte Geschlechtsmerkmale menschenähnliche Körper. Diesen Götterbildern wurden die Opfer dargebracht. Gefundene Rinderschädel etwa deuten darauf hin, dass die Kultgemeinde ein Opfermahl abhielt und die Reste davon niederlegte. Möglicherweise wurden sogar Menschenopfer abgehalten, wenn diese auch eher selten waren. Im Zeitraum von 1000 Jahren kam dies rund um den See vermutlich 40-mal vor.
In der Latènezeit wurden Apsisförmige Anlagen errichtet, in denen sich Rasenaltäre erhöben, die durch Flechtwerk abgestützt wurden. Die Idole bestehen aus langen Stangen oder Pfählen.
400 Meter vom Opfermoor entfernt, legten die Hermunduren im 1. Jh. v. Chr. eine Siedlung an, die bis ins hohe Mittelalter dauerhaft bewohnt wurde. Und noch bis ins 11. Jh. pflegte die Bevölkerung weiterhin den Brauch der heidnischen Opfer. Immer neue Heiligtümer lassen dabei die Veränderung der religiösen Vorstellungen sichtbar werden.
Gallorömische Einflüsse im Opfermoor
Als im 3. Jh. n. Chr., also in der römischen Kaiserzeit, die Chatten von Westen her ihr Siedlungsgebiet bis an den Rand des Thüringer Beckens ausdehnten, entstand am Opfermoor eine überdachte Anlange, die beinahe an einen römischen Umgangstempel erinnert. In ihr wurde ein weibliches Kantholzidol verehrt, dem Wildschweine und andere Wildtiere geopfert wurden, weshalb die Historiker ihr den Namen “Diana” gaben. Deutlich zeigt dieses Heiligtum gallische Einflüsse, die vielleicht auf Erfahrungen beruhen, die germanische Krieger, die in den römischen Hilfstruppen dienten, in ihre Heimat mit zurückbrachten.
In der römischen Kaiserzeit wurde ein Tempel angelegt, der an einen gallorömischen Umgangstempel erinnert. In ihm wurde das Holzidol einer Göttin gefunden, „Diana“ genannt.
Ein Schiffsheiligtum aus dem 5. Jh. hingegen, das zwei in unterschiedliche Richtungen fahrende Schiffe darstellen soll, weist darauf hin, dass sich auch Angeln aus dem Nordwesten Deutschlands hier niederließen. Zusammen mit den Warnen und Hermunduren und vielleicht einer westgotischen Gruppe der Terwingen wurden aus ihnen schließlich die Thüringer. Sie wurden im 6. Jh. n. Chr. christianisiert, doch opferten sie weiterhin auch den heidnischen Göttern – wenn nun auch seltener.
Geschichte erwacht zum Leben
Heute ist an der Stelle der frühgeschichtlichen Fundplätze durch den Torfabbau erneut ein See entstanden, an dessen Ufer die frühgeschichtliche Alltags- und Glaubenswelt zu neuem Leben erwacht. Mit alten Handwerkstechniken und beruhend auf den archäologischen Erkenntnissen wurde seit 1992 im Freigelände des Museums „Opfermoor Vogtei Oberdorla“ ein eisenzeitliches Gehöft mit großem Wohnstallhaus, kleineren Speicher und Grubenhäusern originalgetreu rekonstruiert. 2018 wurden die Grubenhäuser zuletzt neu eingedeckt.
Speicher des rekonstruierten germanischen Gehöfts. Er steht auf Stelzen, um die eingelagerten Vorräte trocken, gut durchlüftet und vor Ungeziefer geschützt zu halten.
In den Sommermonaten wird die Freilichtanlage immer wieder von Darstellern “belebt”. Zudem wurde unter den Heiligtümern eine repräsentative Auswahl getroffen und diese an einem Rundweg am Seeufer nachgebildet, so dass die Besucher eine Reise durch die Zeit und die Glaubensvorstellung von der ausgehenden Latènezeit bis in die römische Kaiserzeit antreten können. Eine dauerhafte Ausstellung zeigt im Museum die Originalfunde der Ausgrabungen am Opfermoor und gibt weitere Einblicke in die Ur- und Frühgeschichte der Region. Wichtigstes Stück ist die „Diana“. Es werden aber auch die Tieropferfunde oder germanische Keramik gezeigt. Anhand von Modellen wird die zeitliche Abfolge der Heiligtümer anschaulich erläutert.
Ausflugstipp: Opfermoor Vogtei Oberdorla
Das Freilichtmuseum liegt südöstlich von Mühlhausen in Thüringen beim Ort Niederdorla. Schleifweg 11 · 99986 Vogtei, Tel: 03601- 756040, www.opfermoor.de
Auf dieser Seite: Fotos (c) Kristin Weber
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